Die chemische Reinigungstufe

Die dritte oder chemische Reinigungsstufe wird hauptsächlich aus zwei Gründen durchgeführt. Meistens geht es darum, den Gehalt des Abwassers an Phosphat zu reduzieren. Oft wird auch eine Verbesserung der Leistung der mechanischen und/oder der biologischen Stufe erstrebt. Die verschiedenen verfügbaren chemischen Produkte erfüllen diese Aufgaben verschieden gut.  

Elimination der Phosphate

Die chemische Analyse von Pflanzen verschiedenster Art und Herkunft ergibt immer das fast gleiche Bild. Alle bestehen aus ähnlichen Anteilen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor, Kalium, Magnesium und Spuren einiger anderer Elemente. Da diese Elemente in der Natur meist nur chemisch gebunden vorkommen, benützen die Pflanzen deren Verbindungen als Rohstoff. Den Kohlenstoff beziehen sie aus der Atmosphäre, wo er in Form von Kohlendioxid (CO2) reichlich vorkommt. Wasserstoff und Sauerstoff gibt es im Wasser (H2O) zur Genüge. Kalium (K), Phosphor (P), Magnesium (Mg) und die erforderlichen Spurenelemente kommen in manchen Mineralien vor. Den Stickstoff (N) nehmen einige direkt aus der Luft. Die meisten können das jedoch nicht und benützen chemisch gebundenen Stickstoff, etwa aus Nitraten, Harnstoff oder anderen Stickstoffverbindungen. Unter Verbrauch von Sonnenenergie - Licht - entsteht aus diesen Elementen je nach dem genetischen Programm der Zellkerne, die das Wunder in Gang setzen, z.B. ein Baum, ein Rosenbusch, eine Kartoffel, eine Brennessel oder eine Alge. Überall, wo Licht, erträgliche Temperaturen und die nötigen chemischen Elemente vorkommen, wächst grüne Vegetation.

Da die Pflanzen nicht allen Sauerstoff brauchen können, den sie in ihren Baustoffen finden, setzten sie einen grossen Teil davon frei. Wächst z.B. ein Baum, dann nimmt er gleich viel Kohlendioxid und Wasser auf und setzt auch gleich viel Sauerstoff frei, wie er bei seiner Verbrennung und beim langsamen Vermodern seines Laubes verbrauchen wird. Pflanzenwachstum ist also etwas wie die Umkehr einer Verbrennung.

Die einzelnen Elemente können einander nicht ersetzen. Auch Stadtmenschen wissen, dass eine welkende Pflanze meistens nicht Dünger, sondern Wasser braucht. Einem Rasen, dem Stickstoff fehlt, hilft keine noch so reichliche Spende von Phosphor, Kalium oder anderen wohlgemeinten Dingen. Wenn eines der nötigen Elemente, der sogenannte Minimumstoff, fehlt oder aufgebraucht ist, dann hört das Pflanzenwachstum auf. Bei Landpflanzen ist Wasser der am leichtesten verständliche Minimumstoff. Bei Wasserpflanzen ist es in der Regel der Phosphor.

Weniger Phosphate im Wasser bedeutet also weniger pflanzliches Wachstum und somit weniger Algen. An und für sich sind Algen in Seen und Flüssen nichts Schädliches. Während des Wachstums sind sie sogar als Lieferanten von Sauerstoff nützlich. Da Fische Pflanzen (oder Pflanzenfresser) fressen und Sauerstoff atmen gab es bis in die Fünfzigerjahre Experten, die forderten, man müsse zur Erhöhung des Fischereiertrags möglichst viel Abwasser in die Gewässer leiten. 

Genau wie Landpflanzen sterben auch Algen und zersetzen sich. Dabei brauchen auch sie genau soviel Sauerstoff, wie sie in ihrem Lebenszyklus produziert haben. Ihre Zersetzung passiert jedoch auf dem Seegrund, wo der Sauerstoff, den sie in den oberen Wasserschichten einst produziert haben, nicht mehr verfügbar ist. Zersetzen sich allzuviele gleichzeitig, dann wird das Gewässer von unten her langsam sauerstofffrei. Die ersten, die unter dem Prozess leiden und schliesslich zugrunde gehen, sind die Fische. Erst später, wenn das Wasser unappetitlich aussieht und eventuell zu stinken beginnt, ärgert sich auch die menschliche Allgemeinheit.

Der Phosphor in unseren Gewässern stammt je nach Landesgegend hauptsächlich aus landwirtschaftlichen Böden oder, da auch Menschen und Tiere Phosphor brauchen und ausscheiden, aus kommunalen Abwässern. 

Kommunale Abwässer fliessen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, in eine Kläranlage. Dort kann man die Phosphate auf verschiedene Weise eliminieren. Im Prinzip kann man es auf rein biologischem Weg tun, indem man eine phosphorzehrende Flora züchtet und diese abschöpft, absiebt, abfiltriert oder sonstwie entfernt, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat. Für das Verfahren sind jedoch grosse Becken nötig und es hat  sich in der Praxis als instabil erwiesen, da die Nährstoffe nie konstant angeliefert werden. Einfacher und billiger ist es, die Phosphate auf chemischem Weg zu entfernen. Man dosiert dazu in fast allen Kläranlagen eine einfache chemische Substanz (Fällmittel) die mit Phosphat einen unlöslichen Niederschlag bildet, der sich mit den übrigen Feststoffen des Abwassers mischt und mit diesen entfernt wird. 

Als Fällmittel verwendet man in der Regel ein wasserlösliches Salz von Eisen oder Aluminium. Beide Elemente kommen in der Natur in grossen Mengen vor, sind leicht zu geeigneten Salzen zu verarbeiten und diese kosten relativ wenig (ihre Kosten liegen im Bereich derer von getrocknetem Sand oder von Zement). Je nach Löslichkeit des gewählten Salzes und Distanz vom Herstellungsort beziehen die Kläranlagen gebrauchsfertige Lösungen oder lösen das Salz selber auf. In der ARA Glarnerland, die das preiswerteste, aber nicht in hoher Konzentration lösliche Eisensulfat einsetzt, wird dieses in Containern angeliefert und erst in der ARA aufgelöst.

 

Leistungssteigerung der mechanischen und/oder biologischen Stufe

Abwässer sind oft reich an äusserst feinen (kolloidalen) Verunreinigungen. Im Laufe der normalen mechanisch- biologischen Reinigung werden die Feinstoffe in gröbere Flocken eingebaut und sinken mit diesen ab, um am Beckenboden den Klärschlamm zu bilden. Dasselbe geschieht mit den Feststoffen, die in der biologischen Stufe aus gelösten Inhaltstoffen des Abwassers entstehen. Bei überlasteten Kläranlagen ist dieser Prozess oft unvollständig und das gereinigte Wasser verlässt die Anlage trüb.

Lösungen von Aluminiumsalzen und von Salzen des dreiwertigen Eisens sind, im Gegensatz zu jenen des zweiwertigen Eisens (etwa Eisensulfat), in neutralem Wasser absolut unbeständig. Aus ihnen fällt bei der Verdünnung sofort grobflockiges Aluminium- oder Eisenhydroxid aus. Diese Hydroxide sind nicht nur gute Bindemittel für Phosphate. Sie helfen auch, Kolloide zu brechen und absetzbar zu machen, vor allem, wenn man sie mit organischen Flockungshilfsmitteln kombiniert, die diesen Effekt verstärken. Gibt man die Mittel in der Vorklärung zu, dann erreicht man nicht nur die Elimination der Phosphate, sondern verbessert auch die Absetzung der Schmutzstoffe und entlastet dadurch die nachfolgende biologische Stufe. Dosiert man die Mittel in die biologische Stufe (Simultanfällung), dann flockt der biologische Schlamm besser und setzt sich schneller ab. In richtig dimensionierten, auf das effektiv zufliessende Abwasser zugeschnittenen und nicht überlasteten Anlagen ist solche Nachhilfe allerdings nicht nötig. Hier dient die chemische Stufe hauptsächlich zur Reduktion des Phosphats.